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Archive for Dezember 2009

Am Gandhi-Apparat wird Garn gespult

Am anderen Ende des Campus besuchen wir die Holzwerkstatt. Hier entstehen Hocker und Klappstühle die mit kunstvoll verzierten Rückenlehnen versehen werden – diese allerdings werden aus Leder gefertigt oder gewebt, beides passiert in anderen Werkstätten. In der Holzwerkstatt entstehen auch Spielzeuge und Lehrmittel für die Night Schools, manche davon werden sogar von Night School Schülern hergestellt, damit sie Basisfähigkeiten im Handwerk erlernen. In der Holzwerkstatt arbeiten auch Frauen, vor allem in der Endfertigung, sie schleifen oder bemalen die Produkte.

Ein Spielzeug wird gefertigt

In der Nähe der Solarsisters Lehrstätte befindet sich die Weberei. Hier stehen große hölzerne Handwebstühle, so wie ich sie von früher kannte. Mitten im Raum sitzt eine junge Frau auf der Erde und spult auf einer selbstgebauten Maschine, die man hier nach ihrem Erfinder Gandhi-Maschine nennt, Garn für das Weberschiffchen auf eine Spule. Die Apparatur ist einfach, eine Fahradfelge findet dafür Verwendung sowie einige dünne Holzlatten, Bindfaden und Klebstoff.

Spulen mit dem Gandhi-Apparat

Hinter ihr sitzt ein Mann am Webstuhl und webt einen festen Stoff. Ich höre gern das Klappern der Webstühle. Ein harmonisches Geräusch und eines mit Erinnerungen an meine Jugendzeit.

Mann am Webstuhl

Vor der Weberei spielen Kinder. Einziges Spielzeug ist ein alter Fahrradreifen. Damit kann man eine Menge anstellen.

Kinder beim Reifenspiel

Von der Night School ins Kunsthandwerk – wie farbenprächtige Kalender entstehen

Unsere nächste Station führt uns zu Night School Drop Outs – zu Schulabbrechern der Abendschule, ein junger Mann und zwei junge Frauen.

Kalenderfertigung unter freiem Himmel

Sie arbeiten im Freien und kleben kleine Kalenderbüchlein zusammen. Das „Innenleben“ wird geliefert, der Einband wird hier angefertigt. Jedes Heft ist ein Unikat, die Einbände entstehen aus recyclten Textilien, schönen Stoffresten mit Druckmustern oder Stickerei. Dafür wird zuerst der Stoff am Pappeinband festgeklebt, dann wird der Einband festgenäht.

Kalender kleben und binden

Am Ende kommt noch ein Bindebändchen aus bunter selbst gedrehter Schnurr mit kleinen Silberglöckchen daran und fertig ist der Kalender oder das Notizbuch.

...und fertig sind die Kalender

Lehrmittel für die Night School – Spielerisch Mathematik und Physik begreifen

Im Raum dahinter hängen Papierwimpelketten von der Decke, an der Wand hängen die aus alten Zeitungen selbst erstellten Tragetaschen.

die Werkstatt ist geschmückt

Auf den Schränken an den Wänden stehen alle Arten Schulmaterialien aus alten Zeitungen, Pappen, Streichholzschachteln und anderen Materialien, die bei uns im Müll landen würden. Der Werkstattleiter mit pinkfarbenem Turban erklärt uns einige Lehrmaterialien aus der Mathematik und der Physik. Mit ihrer Hilfe kann man leichter Addieren oder Multiplizieren üben oder verstehen, wie Vibration funktioniert und was sie so bewirkt. Auch Spielzeug für die Night Schools entsteht hier aus Altmaterialien.

Lehrmittel und Spielzeug für die Night School

Kinder in den Night Schools muss man besonders lebendig, spannend und spielerisch unterrichten – sie kommen nach einem Tag mit Feldarbeit, der für viele von ihnen schon früh begann und mühsam war, da ist es nicht mehr leicht, sich auf das Lernen zu konzentrieren. Morgen werde ich eine der Night Schools besuchen können. Ich bin schon sehr gespannt. Bata schenkt mir einen kleinen roten Kalender, den die jungen Frauen eben gebunden haben. Dass Rot meine Lieblingsfarbe ist, hat sie längst bemerkt. Ich kaufe noch einige Hefte dazu. Der Herr der Werkstatt führt bei Verkäufen die Bücher. Hinter seinem Tisch wirkt er vornehm wie ein Maharadscha.

Mit Anmut und Würde bei der Arbeit

Mir fallen die Worte ein, die Bunker Roy häufig für die Solar Sisters verwendet – sie passen auch auf diesen Mann: „They do their work with grace and dignity“ – sie erledigen ihre Arbeit mit Anmut und Würde. Das trifft es auf den Punkt.

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Tilonia trocknet aus

Der Nachmittag (30.12.2009) stand ganz im Zeichen des Handwerks. Wir brechen nach einem Mittag bei Bunker Roy im schönen Garten zu Fuß auf in den alten Campus, wie immer ist Bata meine Begleiterin. Es ging auf staubigen Wegen über vegetationsfreie Ackerböden, am Feldrand stapeln sich Steine.

Äcker sind trocken und steinig

Wieder erzählt Bata, dass hier früher Mais und Weizen wuchsen, so viel Regen fiel. In diesem Jahr ist die Regenzeit im Juli/August fast ganz ausgefallen. Wir kommen an einem Wasserspeicher vorbei, der einen gigantischen Durchmesser hat und zig Meter in die Tiefe geht. Beim Blick hinunter wird’s einem schwindelig. Vor 1,5 Jahren, in der vorletzten Regenzeit, war der Speicher voller als er heute noch hoch ist. Ein Pfahl zeigt die Wasserhöhe vom August 2008 ca. 2 meter über dem Erdboden an. Inzwischen ist ein Teil der Wände, die über den Boden ragten abgerissen. Der Wasserstand ist mindestens 20 Meter tief gesunken. Es glänzt weit in der Tiefe.

frühere Wasserstände an der Speicherwand

Viele Bauern müssen sich ganz oder teilweise andere Tätigkeitsfelder suchen, um nicht zu verhungern. Umso wichtiger ist die Rolle des barefoot college als Arbeitgeber und Ausbildungsstätte für das Handwerk. Hier werden alte Traditionen weitergegeben und durch Modernes ergänzt.

Tilonia ist für mich eine ungewöhnliche Mischung aus Moderne und Vergangenheit. Auf der einen Seite gibt es ein schnelles WLAN, auf der anderen altes Handwerk, kein Besteck und Frauen, die auf dem Kopf Bügeleisen tragen, wie wir sie aus dem Museum kennen.

Museumsbügeleisen sind hier noch im Betrieb

Unser Weg führt uns an der Dayschool vorbei, in der die Kinder auf dem Schulhof lärmen. Ein Besuch bei Day- und Nightschool stehen später auf dem Programm.

Tierisches aus Textil: Vogel-Totas und Elefantendecken

Wir besuchen zuerst die Textilwerkstätten, im größten der kolonialen Gebäude. Auf der Vorderseite ist die Bankfiliale von Tilonia untergebracht, im rückwärtigen Bereich und im Obergeschoss arbeiten die Textilhandwerkerinnen. Unten wird geschneidert und genäht (dort entstand mein Gewand) aber hier werden auch Totas gebastelt, lange Ketten aus kleinen Vögeln, die mit Perlen als Abstandshalter auf eine bunte selbstgedrehte Kordel gezogen werden.

Material für die Totas - Ketten aus kleinen Stoff-Vögeln

Die Vögelchen sind wieder aus Stoffresten, die Füllung ist ebenfalls aus recycltem Material. In der YouTube Serie „Frauen aus Tilonia“ gibt es einen Film über Bhawar Kanwar, die in einem der umliegenden Dörfern die Herstellung von Bell-Totas koordiniert. In dem 3-minütigen Film kann man sich die Produktion einmal anschauen – von der Füllung aus getrockneten Pflanzenteilen bis zum Auffädeln der Vögelchen zu Ketten.

Die Frauen arbeiten ohne Hektik und in entspannter Atmosphere, dabei wird Tee getrunken, den ich leider ablehnen muss – er ist wie hier üblich mit Milch gekocht. Ein Junge sitzt dabei und schaut zu, nein, er hat nicht mit gearbeitet, Kinderarbeit habe ich bisher in Tilonia nicht gesehen.

Handwerkerin beim Herstellen von Tota-ketten

Von den Tota-Frauen steigen wir die steinerne Treppe hoch bis unter das Dach des höchsten Gebäudes im Campus. Dort arbeitet Batas Mutter nun schon seit 30 Jahren und entwirft das Design für immer neue Bettüberwürfe. In vielen Farbkombinationen gestaltet sie Ornamente, mythische und Tiergestalten, die als farbige Applikationen auf Decken gesteppt werden und mit einem mehrreihigen Steppstich als Zierstich umrandet oder künstlerisch ergänzt werden.

roter Bettüberwurf mit Elefantenapplikationen

Hier unter dem Dach entstehen tatsächlich nur die Entwürfe. Batas Mutter entwirft eine Decke erst im Kopf, dann auf dem Stoff, sie schneidet die Streifen und zu applizierenden Stoffstücke zu und befestigt sie mit einem Heftstich am Untergrund.

Entwurf und Vorproduktion der Decken macht Batas Mutter

Frauen aus umliegenden Dörfern holen diese Rohware ab und fertigen in Heimarbeit die Näharbeit an den Decken – ohne maschinelle Hilfe. Natürlich verliebe ich mich sofort in eine Decke – in den Laden wollte ich ja ohnehin noch einmal gehen. Mein Favorit hat viele kleine Elefanten appliziert. Sie sind aus blauem Stoff appliziert. Diese Decke sieht sogar von hinten schön aus.

Elefantendecke von hinten

Auf dem Weg zu den anderen Werkstätten begegnen uns die Kinder, die gerade aus der Schule kommen. Neugierig schauen sie die Ausländerin an. Sie sind hier schon privilegiert, da sie in die Dayschool gehen können. Viele Kinder müssen tagsüber arbeiten und Ziegen oder Schafe hüten, für sie bleibt nur die Nightschool, wenn sie etwas lernen wollen.

Wenn man neben den Kindergesichtern die offensichtliche Armut sieht und dann an den Überfluss in Deutschland und an vielen anderen Orten auf der Welt, kann man schon schier verzweifeln. Man kann als Einzelmensch nicht die ganze Welt retten. Aber ein bisschen was kann und sollte jeder tun. Wir haben schließlich nichts dafür getan, dass wir in unserem Teil der Welt geboren wurden.

Schulkinder gehen nach Hause

Wer jetzt konkret in Tilonia helfen will, der sei noch einmal auf mein barefoot college Spendenprojekt bei betterplace hingewiesen. Dort kann man auch kleine Summen spenden. Es gehen garantierte 100 % der Spenden direkt in das barefoot college, ohne jeden Abzug.

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 Puppenbauen unter einem Militärflieger

Der Tag begann etwas später, ich weigere mich einfach, einen Wecker zu stellen und mein Körper meint gerade unter 9 Stunden sei ihm nicht genug. Aber auch nach der Frühstückszeit gab es für mich noch 3 frisch gebackene Fladenbrote und extra Tee ohne Milch.

Dann erlag ich dem Zauber des Puppenspiels. Bata brachte mich zur Communications Abteilung, zu der auch das Puppenspiel gehört. Schon auf dem Weg trafen wir auf zwei Hersteller neuer Puppen, sie arbeiteten direkt neben einem alten Militärflugzeug. Das steht reichlich unmotiviert auf dem campus herum. Der Vater eines barefoot college Bewohners (ein früherer Offizier bei der indischen Luftwaffe) hatte es für die Kinder als Lehrobjekt herbeigeschafft. Kinder haben es inzwischen mit Verzierungen versehen und durch ihre Hangelei die Spitze verbogen.

Puppenbauen unterm Flugzeug

Die Puppen werden wie viele der Kunsthandwerke im barefoot college aus Abfallmaterial hergestellt. Die Köpfe sind aus Pappmaché, das durch Zerstampfen von Altpapier und Kleister in einem Steintopf entsteht.  

Pappmache Herstellung

Die Köpfe aus Pappmaché werden erst geformt und geglättet, später angemalt.

Puppenköpfe entstehen

Danach werden die Kleider aus recycleten Stoffen geschneidert und fertig ist eine neue Puppe.

frisch bemalte Puppen

Noch bunter wird es in der Theaterwerkstatt selbst. Besucher aus Washington sind da, so dass wir eine kleine Extravorstellung bekommen. In der Werkstatt hängen die Wände voller Puppen, eine Reihe voller Könige…

Königspuppen

Eine Reihe voller Frauen in bunten Kleidern…

Frauenpuppen

Eine Wand ist von oben bis unten voller Puppen.

eine Wand voller Puppen

Mitten drin finden sich Puppen, die Bunker Roy und seine Frau Aruna darstellen.

Bunker Roy und Aruna Roy als Puppen

Königspuppen waren gestern – heute spielt die Gegenwart auf der Bühne

Wir erfahren, dass in der früheren, traditionellen Puppenspielerei hauptsächlich die Königspuppen in Einsatz kamen. Sie haben Holzköpfe und sind aufwändig gefertigte Marionetten. Für ihre Herstellung und um mit ihnen gut zu spielen braucht es Jahre der Übung und des Lernens. Hier im barefoot college will man aber nicht nur Puppenspielen um der Unterhaltung willen, sondern man möchte damit durch die Dörfer ziehen, um Aufklärungsarbeit zu leisten, die indirekt erfolgt, die Menschen begeistert und dadurch eine größere Chance hat, auch bei ihren Adressaten anzukommen. Deshalb, so heißt es dann, sind für diese Puppenspiele auch andere Puppen hergestellt worden. Einfacher in der Machart und auch in der Handhabung. Es sind Handpuppen mit Köpfen aus Pappmaché – eben solche, wie die, die gerade draußen vor dem Haus entstanden. Mit einem Lächeln erzählt man uns auch, dass die Köpfe aus Zeitungen und klugen Büchern enstanden und daher das ganze Wissen jetzt in den Köpfen der Puppen steckt. So können sie es denen erzählen, die keine Zeitungen lesen und keine Bücher kaufen können – den Ärmsten auf dem Land.

Seit 20 Jahren ziehen die Puppenspieler des barefoot colleges schon durch die Dörfer, über 70.000 Zuschauer haben sie begeistert. Viele kennen das barefoot college nur über die Geschichten, die seine Puppenbotschafter erzählen. Inzwischen hat das college auch schon viele andere Puppenspieler ausgebildet, um mehr Menschen in noch mehr Dörfern erreichen zu können.

Puppenspiel für Frauenrechte und Gesundheitsschutz

Die Themen sind vielfältig und reichen von Gesundheitsschutz bis zu Kinderrechten, Bürgerrechten (vor allem das Recht auf Information und der Schutz vor Korruption) bis hin zu Themen rund um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, den Schutz von Mädchen vor Kinderheirat und die Überwindung der Diskriminierung wegen Kastenzugehörigkeit. Hierzu wurden passende Puppen entwickelt – von der Kinderbraut bis zum Bauern.

Kinderbraut mit Bräutigam

Vier Männer führen uns gemeinsam ein indisches Volkslied vor, in dem davon die Rede ist, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich beendet werden kann und Armut kein Schicksal ist, das man geduldig ertragen sollte. Einige kleine Stücke mit den Puppen werden ebenfalls gegeben. Ich wünschte, ich würde alles verstehen, manche waren auf Urdu oder Hindi…schön sah es trotzdem aus. Ich habe auch kleine Videos mitgeschnitten, bei Gelegenheit finden sie sich in meinem YouTube Channel . Stolz erzählen einige der barefoot college Puppenspieler, dass sie schon mehr als einen Monat in Deutschland verbracht haben, als sie bei der Expo eingeladen waren, um ihr Land zu vertreten.

Cia Cia spielt sich selbst

Dazu gehört auch Cia Cia, der die ihn selbst darstellende Puppe mit hinreißendem Charme spielt. Sie schafft es am Ende, mir ein paar Küsse zu rauben 🙂

Zum Abschied bekam ich noch das verlockende Angebot, selbst eine Puppe zu gestalten. Das Angebot nehme ich bestimmt an, wenn irgendwie dafür Zeit ist. Aber ich habe noch einiges vor, das college ist größer als man denkt und zwischendurch ist ja auch noch ein Neujahrsfest zu feiern.

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Kaltstart in den Tag –  29.12.09

Über meinen heutigen Tag habe ich bisher nur wenig erzählt. Für die Neugierigen also mein Tag im Zeitraffer. Ich bin erstaunlich munter in den Tag gestartet, obwohl es nach deutscher Zeit noch mitten in der Nacht war. Neun Stunden Schlaf sind einfach genug. In meinem Bad gibt es nur fließend kaltes Wasser, das macht auch wach. Das Bad ist eine Tür neben meinem Zimmer, es ist spartanisch, die Spülung erfolgt mit einem Eimer. Ich putze mir mit kaltem Wasser in dem kalten Raum klappernd die Zähne. Später erfahre ich, dass es auf dem Flur einen Wasserhahn gibt, aus dem warmes, solarbeheiztes Wasser fließt. Das vergesse ich bestimmt nicht – heute abend ist der Hahn fällig.

Das Frühstück ist für die anderen um 8:30 Uhr schon vorbei. Es gibt wieder Fladenbrot aber diesmal in Öl gebacken, dazu etwas Kohlgemüse vom Vorabend und den obligatorischen Tee (für mich wieder ohne Milch). Ich spaziere danach durch das Campus, es gibt immer noch so viele Stellen, die ich nicht gesehen habe. Dabei entdecke ich die Ornamente in Batas Hof. In ihrem Büro setze ich mich eine Weile zum schreiben und Fotos sortieren hin, während Bata arbeitet. Leider ist dort das WLAN ausgefallen und irgendwann ist auch mein Laptop Akku leer, also ziehe ich um ins Telefonhüttchen. Dort holt mich Bata mittags ab, wir sind beide bei Aruna und Bunker Roy eingeladen, eine Dramaturgin und Theaterprofessorin aus Delhi ist auch zugast. Der Garten ist paradisisch (siehe mein Blogpost zur Kunst über die man laufen darf), wir sitzen im Freien, über uns hängen Blumenbüsche ihre Pracht herunter, Vögel singen und das Essen duftet aus verschiedenen Schalen so lecker wie es dann auch schmeckt. Außer mir essen wieder alle ohne Besteck, irgendwann muss ich das wohl doch auch mal lernen. Fladenbrot gibt es auch dazu aber in verschiedensten Variationen – aus Maismehl und aus Weizenmehl, mit und ohne Spinat daruntergemischt. Bunker macht wieder Witze darüber, dass ich in Tilonia so gefüttert werde, dass ich ein paar Kilo schwerer nach hause komme, ich glaube inzwischen, dass dieser Witz Realität werden wird. Immerhin, mein neues indisches Gewand hat Gummizug, da klemmt wenigstens nichts.

Bei Tisch reden wir über Ost und West und allerlei Frauenthemen. Aruna war schon zu DDR Zeiten in Dresden und ist auch sonst viel im Ostblock herumgekommen. Sie sagt, wie viele gute Dinge es dort gab, gerade in der Bildung und Kinderbetreuung. Ich erzähle ihr, wie empfindlich Manche heute noch im Westen reagieren, wenn man gute Haare in der DDR Vergangenheit findet.

Mir werden Mitarbeiter aus den Teams von Aruna und von Bunker Roy vorgestellt, mit etlichen von ihnen werde ich noch ausführliche Gespräche haben können, über die natürlich berichtet wird. Nach dem Essen gehe ich auf Ornamentsuche und sammele Fotoschätze. Auf dem Festplatz mit der Mandala-Feuerstätte entdecke ich etwas, das ich zuerst für eine Vogeltränke halte. Bata erzählt mir aber, dass die kleinen Schälchen Lichter enthalten, die zu Weihnachten angezündet wurden.

Hängelichterkette

Das Barefoot College – Land des Lächelns und der Entschleunigung

An dem Platz hängen auch bunte Stofffahnen, mit Weihnachts- und Neujahrswünschen und mit einem weisen Spruch –

Festtagsfahnen

„Friendship never asks for anything in return, which is why it receives so much abundance without measure“…Ja, an diesem Spruch ist viel Wahres dran. Er passt auch sehr gut in das barefoot college, weil hier ganz offensichtlich ein freundschaftliches Miteinander dominiert. Ich habe noch kein einziges lautes Wort gehört, selten so viele Menschen lächeln sehen. Ich glaube, in Deutschland lächelt man einfach zu wenig, dabei pflanzt sich ein Lächeln immer fort (ich muss da an eine sehr schöne Geschichte von Volker Strübing denken, von der Lesebühne „Liebe statt Drogen“). Mir fiel das heute bewusst auf, als ich bei jedem einzelnen Lächeln merkte, wie mir Sonnenstrahlen das Herz wärmten und ich irgendwann auch nur noch lächelnd herumlaufen konnte. Klingt kitschig, aber so hat es sich gefühlt. Wie Wärme von innen, durch die Freundlichkeit der Umgebung erzeugt.

Ich habe mich noch in keinem Urlaub so entspannt. Das liegt natürlich auch daran, dass ich zur Abwechslung mal nicht dauernd von A nach B reise und auch daran, dass man hier überall für mich sorgt, als wäre ich in einem all-inklusive Urlaub. Aber es liegt gewiß auch an der Freundlichkeit und Langsamkeit im Campus. Jetzt verstehe ich, wie das Bunker Roy immer meinte, wenn er mir in der Vergangenheit öfter riet „you have to do everything much slower, dont rush through your life“. Ich habe mich selten so entschleunigt gefühlt wie hier, wenn überaupt schon einmal. Die Zeit läuft neben mir her und ich merke es kaum. Ich habe keine Termine, keine Pläne, keine Verabredungen – wenn dann nur lose und zum nächsten Essen. Es gibt nie Eile, nie Druck, nie etwas zu verpassen. Da wo ich bin, bin ich immer richtig. Ein wunderbares Gefühl und ein eher ungewohntes oder sagen wir mit der Zeit verloren gegangenes Gefühl.

Kunst, die man kaufen kann

So wandere ich am Nachmittag auch in den barefoot college Shop, um mir die käuflichen Ergebnisse der vielfältigen Handwerke anzuschauen. Ich wollte sie wirklich nur anschauen, aber natürlich blieb es nicht dabei. Als Mensch mit Sinn für das Textile und Achtung vor dem Handwerk kann man im Shop verloren gehen oder zumindest ein paar stauenden Stunden verbringen.

der Barefoot College Craft Shop

Neben mir tat das auch eine indisch stämmige Familie aus Minnesota, der Vater ein Professor für Management, die Mutter ehemals aus Tilonia, die Kinder sind zum ersten Mal da.

Produkte aus dem Craft-Shop

Fast beneide ich sie um ihre gegenseitige Gesellschaft, in der sie sich immer wieder mit kindlichen Staunen und Begeisterungsrufen die schönsten Stücke zeigen, große Bettdecken auf dem Boden ausbreiten, die Vorzüge von Kissenfarben diskutieren und die Feinheit von Patchwork und Stickerei bewundern.

Produkte aus dem Craft-Shop

Ich staune still vor mich hin und baue in einer Ecke einen kleinen Stapel mit ausgesuchten Lieblingsstücken.

Ausschnitt aus einem riesigen Wandbehang mit Applikationen

Schuhe müssen jetzt auch sein, diese Machart hat fast das ganze Dorf an. Sie haben einen unschlagbaren Vorteil – man kann sehr einfach rein und raus schlüpfen, was man hier fast überall muss. Schuhe ausziehen ist hier Gebot an jeder Tür. So passt mein Schuhwerk auch besser zur indischen Kleidung.

meine neuen Schuhe

Neben einigen Kissenbezügen und anderen textilen Kleinigkeiten nehme ich aber auch noch 2 Bücher mit: eine Art Katalog des Kunsthandwerks aus dem college und ein Fotobuch mit Bildern der barefoot college Fotografen. Mein Großeinkauf kostet 63 Dollar und passt gerade so in zwei Tüten. Selbst diese Tüten sind Handwerk – aus alten Zeitungen, selbstgedrehten Hanfkordeln und an den Seiten mit Dekor beklebt. Nach dem Shoppen gibt’s wieder Tee mit Bata, draußen vor der Messe.

Bata beim Tee vor der Messe

Die Zeit bis zum Abendessen vergeht mir sehr schnell, umso mehr kommt es mir entgegen, dass wir etwas später essen gehen müssen, da die Blechteller alle sind. Heute bekomme ich kein Extraessen aber so scharf finde ich es gar nicht, vielleicht gewöhne ich mich auch nur langsam an die Schärfe im Essen. Ich möchte Bata etwas von der Heimat zeigen, aber auf meiner Festplatte finden sich nur Bilder von Berlin, auch da eher spezielles, wie das Lichtfestival und die Feiern zum 20. Jahrestags des Mauerfalls. Die Bilder von den Dominosteinen eignen sich aber gut, um ein wenig Deutschlandgeschichte zu erzählen, sie sind voller Symbolik. Ich zeige ihr meinen YouTube Film  mit den Mauersteinen und fast jedes Bild ist ein Stichwort zum Erzählen. Bata muss noch arbeiten, weitere Fotoschauen verschieben wir auf später. Ich setze mich ans Schreiben bis die Telefonhütte schließt. Mein zweiter Tag in Indien geht zu Ende.

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hier darf man sogar über Kunst laufen

In meinem früheren Leben habe ich einmal angewandte Kunst studiert und seit dem habe ich einen Hang zur Ornamentik, insbesondere wenn sie schön und klassisch ist. Diese Art von Ornamentik findet man weniger in unseren Breiten aber häufig in der ethnischen Kunst.

In Tilonia sind die meisten Häuser in Lehmbauweise entstanden.
Manche Häuser sind rot gestrichen und mit Ornamenten verziert.

Ornament am Community Gebäude

Dazu gehört die Agora, die nicht nur Theater ist sondern auch eine gigantische Regenwasserauffanganlage – aber über die Regenwassergewinnung schreibe ich später ausführlicher. Auf der roten Farbe sehen die Ornamente besonders schön aus, das weiß des Reismehls beginnt zu leuchten…

Lebendige Lehmböden – kunstvoll bemalt

Auch auf dem festen Lehmboden werden mit Reismehl Ornamente gemalt.   

Batas Innenhof mit Ornamenten

Die Ornamente gibt es in allen möglichen Formen – welche, die nach Blumen aussehen durch ihre kreisförmige Ausrichtung…

Ornamente in Blumenvarianten

andere, die die verschiedensten Sterne darstellen …

Sternenförmige Ornamente

und wieder andere, die sich keiner bestimmten Formenklasse zuordnen lassen.

Ornamente in freien Formen

Eins haben sie alle gemeinsam, sie sind eine Augenweide.

Ein Feuer mit Mandala

Heute war ich auch noch einmal bei Tageslicht zum Lagerfeuerplatz gelaufen, um ein Bild von der dekorierten Feuerstätte zu machen.

Hier war das Lagerfeuer und hier wird Sylvester gefeiert

Erst dabei habe ich bemerkt, dass der ganze Platz  mit Ornamenten bemalt war (einige der oben abgebildeten Muster sind von dort) und dass auch die Bäume eine wunderschöne Einfassung aus weißen Reismehlmustern hatten.

der Festplatz mit Ornamenten

Von nah betrachtet, wirken sie wie kleine Mandalas.

ornamentale Baumumrandung

Die schönsten Ornamente fand ich im Garten von Aruna und Bunker Roy.

Mittagessen im Paradies

Dort haben wir Mittag gegessen – umgeben von Schönheit und Blumen sowie umwerfender Gastfreundschaft und bewirtet mit indischen Leckereien aus eigener Küche.

im Gartenparadies von Aruna und Bunker Roy

 Der aufmerksamen Blogbesucherin (Männer sind natürlich mitgemeint) wird nicht entgangen sein, dass das Titelbild des Blogs verändert ist und dass sich dort einige der Kunstwerke des barefoot college wiederfinden. Das bisherige Bild (blaue Türen aus Tunesien) war zwar auch schön aber ohnehin nur Platzhalter, tunesische Türen haben nun einmal wenig mit Indien zu tun.

Meine neue Kleidung ist inzwischen fertig geschneidert, morgen liefere ich Bilder dazu nach. Die Farbigkeit ist an den hier abgebildeten Ornamenten angelehnt, soviel sei verraten. Der Rest bleibt Überraschung.

 

 

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Tee wird um 5 Uhr getrunken

Um 17 Uhr lädt mich Bata zur gemeinsamen Teepause ein. Für mich wird ein extra Tee gekocht – alle anderen trinken Tee mit Milch. Mit Milch kann mich jagen. Der Tee wird in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen, aufgekocht und dann durch ein Sieb in kleine Tassen gegossen.

mein Tee ohne Milch wird zubereitet

Tee heißt hier Tschai – das Wort habe ich schon mit 10 Jahren gelernt im Russisch Unterricht. Offenbar haben die Russen nicht nur den Tee sondern auch das Wort dafür aus Indien importiert. Der Tee ist recht stark und leicht gesüßt. Wir sitzen bei den letzten Sonnenstrahlen auf einer Steinbank gegenüber der Messe, in der alle Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden. An der Wand grüßt noch ein von Bata gemalter Weihnachtsgruß.

Frohe Weihnachten - an der Messenwand

Die Tassen waschen wir an der Pumpe neben der Bank aus, das Wasser ist warm und wird aus einer natürlichen Quelle gespeist. Nach dem Tee ziehe ich mich zurück und fange an zu schreiben. Im Zimmer funktioniert das WLAN aber nicht und so bringt mich Bata zur Telefonrundhütte – dort auf der Steinbank gibt es wunderbares WLAN mit schneller Verbindung (auf dem Bild ist die Bank hinter dem Fahrrad).

Telefonhütte und mein WLAN Platz auf der Bank

Ich chatte begeistert auf Facebook mit Stefan, meinem besten Freund. Technik ist einfach toll! Es wird schnell dunkel, das campus hat keine Wegbeleutungen und so sitze ich bald im Finsteren, Licht kommt nur vom Notebook. Da wird blindschreiben zum Vorteil. Um 19 Uhr (mein Magen knurrt schon sehr) gibt es Abendbrot. Wir ziehen die Schuhe aus und gehen in die Messe.

Die Messe von innen - hier wird gemeinsam gegessen

Das Foto ist vom Tag danach – ich wollte nicht gleich am ersten Tag die Dorfcommunity beim Essen fotographieren – so hat man einen Eindruck von dem Raum. Beim Essen sitzt man auf dem Steinfußboden, das fiel mit mir Jeansrock etwas schwer, ging aber auch. Die Schuhe bleiben draußen. In der Messe hängt auch ein Gestell an der Wand für die Blechteller. Von dort bedient man sich. Die Teller haben ganz wie frühere Kantinenteller mehrere Unterteilungen für die verschiedenen Speisen.

das Tellerboard (mit Metalltellern)

In der benachbarten Küche bekommt man das Essen. Aus mehreren großen Töpfen und Schüsseln kann man sich selbst etwas nehmen, für mich wurde eine extra Portion Gemüse geschmort – mit extra wenig Schärfe. Dazu gibt es Reis, eine Linsencurry-Sauce und indisches Fladenbrot. Das Fladenbrot kommt direkt von der Herdplatte. Das Essen ist nicht ganz so einfach, es gibt kein Besteck. Die anderen sind virtous dabei, mit dem Fladenbrot auch die flüssigeren Bestandteile der Speisen aufzunehmen und zu essen. Der Reis wird mit den anderen Speisen vermischt, mit den Fingern zurechtgeknetet und in den Mund geschoben. Bata kann sich das Elend offenbar nicht länger ansehen, ich bekomme einen Löffel. Es schmeckt köstlich und der Koch freut sich, dass ich mir von meinem Spezialgemüse gleich zweimal Nachschlag hole.

Nach dem Essen werden die Teller an einem Steinwaschbecken mit mehreren Wasserhähnen (so wie auf Zeltplätzen) gewaschen. Eine Art Waschpulver hilft, auch das Fett abzubekommen.

Nach Abendessen schreibe ich wieder an meinen Blogtexten – viel Zeit bleibt nicht, schon um 20 Uhr bin ich zu einem Lagerfeuer eingeladen. An einem extra dafür eingerichteten Platz sitzen schon die Teammitglieder von Aruna Roy im Kreis um das Feuer. Die in die feste Lehmerde gegrabene kreisförmige Ausbuchtung für das Feuer ist mit schönen Ornamenten verziert. Außer Aruna sitzen alle auf der Erde, mir ist das zu kalt. Nachts sinken die Temperaturen sehr schnell unter 10 Grad. Ich habe meine wärmsten Sachen an aber muss schon sehr dicht an das Feuer rutschen, um nicht zu frieren. Bata ist wie immer sehr aufmerksam und bringt mir einen kleinen geflochtenen Hocker. Darauf sitzt es sich gleich doppeltgut. Die Romantik des Abends ist umwerfend. Über uns der funkelnde Sternenhimmel, darunter ein Lagerfeuer, um das herum singende Menschen sitzen. Es ist wunderschön.

am Lagerfeuer wird gesungen

Die anderen singen noch weiter, aber mir fallen die Augen zu – im Flugzeug hatte ich nur eine Stunde geschlafen in der vorgegangenen Nacht. Mit dem singen im Ohr verabschiede ich mich in die Nacht. Bata bringt mich zum Gästehaus, wir gehen dabei am Weihnachtsbaum vorbei. Zu Weihnachten war er noch mehr geschmückt. Im Barefoot College feiert man alle hohen Feiertage.

der Weihnachtsbaum im Barefoot College

Im Zimmer ist es lausekalt, ich hatte vergessen, das Fenster zu schließen. Ich lasse meine warmen Sachen allesamt an, von der Strumpfhose bis zum Wollpullover, schlage die dünne Bettdecke doppelt übereinander (sie ist groß genug) und schlafe schnell ein. Nach deutscher Zeit war es noch früh, erst 18:30, aber ich war müde genug und schlief seelenruhig bis um 8 Uhr morgens – 3:30 Uhr deutscher Zeit durch.

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Sita Bai – die singende Solarkocher-Monteurin

Wir steigen wieder in den Jeep, der uns in das neue Campus zurück bringt. Dort zeigt mir Bata die Werkstatt für Solarkochgeräte. Am Eingang der Werkstatt treffen wir auf zwei junge Frauen, eine davon steht in einem tiefen Loch, dass sie mit einer Hackschaufel tiefer gräbt.

schwere Arbeit im Erdloch

Daneben, im roten Sari steht Sita Bai. Als Bata sie mir vorstellen will, braucht sie nicht viel erzählen. Ich habe Sita längst an ihrem Lächeln wieder erkannt. Den Film über die singende Solarkocher Monteurin Sita Bai habe ich mehrfach gesehen – er ist auch hier im Blog (rechts unten bei den Links zum Barefoot College) verlinkt. Bata erzählt, dass ich Sita aus dem Film kenne und beide freuen sich – die Protagonistin des Films und die Dokumentarfilmerin.

Sita Bai am selbstgebauten Solarkocher

Sita erklärt mir die Funktionsweise der Solarkocher. Eine Große Parabole ist mit kleinen rechteckigen Spiegeln bestückt – jedes einzeln mit einfachem Draht befestigt.

Befestigung der Spiegel am Solarkocher (Rückwand)

Diese Solarschüssel wird dann zu den Sonnenstrahlen so ausgerichtet, dass diese gebündelt auf die Kochstelle fallen. Dort entsteht so viel Hitze, dass 1 Liter Wasser in 8 Minuten kocht.

Ausrichtung des Solarkochers

Die meisten der zu Solarkochermonteurinnen ausgebildeten Frauen können kaum oder gar nicht lesen und schreiben. In der Werkstatt gibt es jedoch riesige Bauzeichnungen auf dem Boden, nach dem die Solarkocher von ihnen gebaut werden.

Bauzeichnungen für den Solarkocher

Ein Kocher reicht, um für eine 8-köpfige Familie mit Sonnenenergie zu kochen. In Tilonia wird für die große Gruppe der Bewohner gemeinsam gekocht, da ist ein Gasherd doch praktischer. Die Solarkocher werden jedoch auch für den Verkauf hergestellt.

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Der Regen bleibt aus

Wir sehen eine Ziegenherde unter einem Baum grasen und Bata erzählt vom Klimawandel. Wie früher alles grün war, es oft und heftig regnete und es immer ausreichend Wasser gab. Jetzt regnet es selten. Die Bäume wurden weniger, wenn einer gefällt wurde, wuchs kaum ein neuer nach. Das grün wurde regelmäßig abgehackt und den Ziegen als Futter gegeben, Gras gab es kaum noch, das sie hätten fressen können. Über den Klimawandel habe ich schon viel gehört und gelesen, Bilder von geschmolzenen Gletschern und ausgetrockneten Flußbetten gesehen. Dennoch wird mir hier in Tilonia die Unausweichlichkeit und das Schicksal derer, die nicht einfach woanders hin umsiedeln können, auf das Heftigste deutlich.

Der Regen bleibt aus

Das Barefoot College macht viel, um das Leben auch in einer trockeneren Zeit lebbar zu machen – Regenwasser wird aufgefangen und unter der Erde gespeichert (darüber wird noch mehr zu berichten sein) und sparsam verwendet für Mensch, Tier und Pflanzenzucht. Aber es bleibt dürr, es bleibt trocken, der Regenwasserspeicher wird immer seltener und immer weniger voll. Es fehlt Grün und es wird immer weniger grün geben. Noch wachsen in Tilonia auch rot blühende Büsche. Doch schon außerhalb der Campus Oase wirkt die Fauna trocken und frei von bunten Farben. Neben dem Gefühl der Ohnmacht – der Prozess hier in Tilonia scheint kaum mehr aufzuhalten – steigt in mir auch Wut hoch. Wut auf die Großen Entscheider dieser Welt, der Vertreter von über 100 Ländern, die in Kopenhagen die Chance vertan haben, dem Klimawandel entschlossener zu begegnen, gemeinsam ehrgeizige Ziele zu beschließen, die für Millionen Menschen das nackte Überleben bedeuten. Dazu kam es leider nicht. Die Weltpolitik hat aus verschiedensten Partikularinteressen versagt und Tausende Dörfer erleben ein Schicksal wie Tilonia – nur ohne College und ohne Beistand. Viele Tausende Dörfer werden einem ähnlichen Schicksal entgegen gehen und machtlos das Verschwinden des Grüns aus ihrer Landschaft erleben müssen.

Tilonia – einziges vollständig solarelektrifiziertes College Indiens

In Tilonia schimpft man nicht auf Kopenhagen, man wartet auch nicht auf Politiker, etwas am Weltklima zu verändern. In Tilonia fängt man damit selbst an. Das College ist das einzige vollständig solarelektrifizierte College in Indien.

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Abstecher in die Spulerei – und wieder eine Reise in die eigene Vergangenheit

Auf dem alten Campus – die meisten Häuser sind noch aus kolonialen Zeiten – werfen wir noch einen Blick in eine Art steinernen Schuppen, ein recht dunkles Gemäuer mit weit geöffnetem Scheunentor. Im Dunkel des Inneren steht ein riesiger alter Holzwebstuhl mit zwei Pedalen. Er ist reparaturbedürftig  und daher gerade nicht genutzt.

Meine Gedanken wandern zurück in das Jahr 1986, als ich 18jährig in der „PGH 5. Parteitag“ (PGH=Produktionsgenossenschaft des Handwerks) arbeitete. Viele Monate saß ich an einer alten Stickmaschine aus der vorigen Jahrhundertwende, betrieben mit einem später anmontierten Motor und gesteuert über eine kleine Kurbel unter der Arbeitsplatte. Ich habe tausende Male die Zahlen von 1-13 auf Wasserballermützen gestickt – erst die Umrandung, dann den ein cm breiten Zahlen-Balken mit vielen kleinen Kreisen „ausgemalt“, entweder in weiß auf blau oder in blau auf weiß, nur die eins gab es in einer rot-weiß Kombination. Ein paar Monate war ich jedoch auch in der Handweberei, lernte mit einem 6 pedaligen Handwebstuhl weben, auch jener war schon viele Jahrzehnte alt. Das Klack Rumm Klack Rumm Klack Rumm des durch das Fadenfach sausenden Schiffchens und des anschlagenden Webkamms singen mir noch im Ohr.

Zwischendurch musste ich Garn spulen, an Maschinen die noch Vorkriegsware sind – vor dem 1. Weltkrieg. Mit Arbeitsschutz hatte das wenig zu tun. Vor mir sausten damals 20 kleine Spulen, die von großen Spulen alle gleichzeitig aufgefüllt wurden. Wenn ein Faden riß oder eine Spule leer war, griff ich mitten hinein in die weiterlaufende Apparatur, zog die Pappspule von ihrer Halterung, befestigte den Faden und steckte die Spule auf. Das ganze musste blitzschnell gehen.

In einem anderen Raum wurde das Webgarn gehaspelt, also von dicken Spulen abgewickelt und in vielen parallelen Fäden in einer übermannshohen Halterung wieder aufgewickelt (wer das Wort „Haspel“ und „haspeln“ nicht kennt kann hier eine Wikipedia Beschreibung lesen). Genauso eine Apparatur stand auch in diesem Gemäuer. Eine Frau in roter traditioneller Kleidung arbeitete daran.

an der Haspel

Hier schien der Prozess mit deutlich weniger Hektik abzulaufen als bei mir vor über 20 Jahren. Als ich erzähle, dass ich diese Arbeit auch schon einmal gemacht habe, leuchten die Augen der jungen Frau und ihre Zähne blitzen in einem strahlenden Lächeln. Es ist merkwürdig. Seit meiner Ankunft hatte ich schon so viele innere Begegnungen mit meiner eigenen Vergangenheit. Mit allem hatte ich gerechnet bei meiner Reise, aber damit nicht.

strahlendes Lächeln in Tilonia

Wir spazieren noch eine kleine Runde über den alten Campus. Bata zeigt mir die Messe, in der die angehenden Solaringenieurinnen gemeinsam essen, die Duschen, die über eine Dachsolarheizung mit warmem Wasser versorgt werden, den Spielplatz, auf dem eine Handvoll Kinder im Kreis ein Spiel mit Steinchen spielt und Bata erzählt. Sie erzählt, wie sie hier seit sie 2 Jahre alt war gelebt, gespielt und gelernt hat, wie ihr ganzes Leben mit dem barefoot college verbunden ist. Sie erzählt auch von dem Unfall vor vier Jahren, bei dem sechs college Bewohner ums Leben kamen, einer davon war ihr Vater. Sie sagt, dass ihr der Beruf als Kommunikationsverantwortliche nicht nur Spaß macht, er ist für sie auch eine Ehrung des Vaters, seine Aufgabe fortzuführen.

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Was ist ein Charge Controller?

Zur Zeit (schon seit September) sind Frauen aus 6 afrikanischen Ländern da. Einige sprechen französisch, andere etwas englisch, manche nur ihre Stammessprachen. Trotzdem funktioniert die Kompetenzvermittlung offenbar hervorragend. Rahamatu aus dem Niger erklärt mir stolz die Bestandteile und Funktionsweise verschiedener Solarbauteile.

Rahamatu aus dem Niger erklärt den Charge Controller

Sie ist nur etwas enttäuscht, dass ich den Namen des nigrischen Präsidenten noch nie gehört habe aber das wird verziehen und sofort ist ihr strahlendes Lächeln wieder da. Sie erzählt, dass sie mit einer anderen Frau aus dem Niger die ersten aus ihrem Land sind, die in Tilonia lernen können. Sie erzählt auch, dass sie dem barefoot college unendlich viel verdankt. Jeden kleinen Transistor, jeden Widerstand und jede LED kann sie genau beschreiben. Sie zeigt uns die unterschiedlichen Leiterplatten für Charge Controller, einfache Solarlampen und kompliziertere tragbare Solarlampen. Auf einem Tisch liegen alle Bauteile übersichtlich nebeneinander, dahinter die Solarpanele.

das wird alles in den Solarwerkstätten hergestellt

Ich lerne, dass die angehenden Solaringenieurinnen alles was sie für die spätere Solarelektrifizierung ihres Dorfes brauchen, hier schon in Tilonia selbst herstellen. Sie haben den Bauplan jedes Teils genau im Kopf und sind so in der Lage, alle Reparaturen kompetent durchzuführen. Die leuchtenden Augen von Rahamatu vergesse ich bestimmt mein Lebtag nicht.

Rahamatu, Sonnenschwester aus Niger

Die Ausbildung erfolgt überwiegend durch Learning by Doing. Drei Frauen und ein Mann aus dem barefoot college sind Instrukteure. Die meisten der Frauen sind entweder ganz oder weitgehend Analphabetinnen. Ein Großteil der Anleitung erfolgt über Farbcodes, die Instrukteurin kennt die Grundfarben schon in den verschiedensten afrikanischen Sprachen.

die Instrukteurin für Solar-elektrotechnik

An den Wänden hängen Plakate. Auf einigen stehen die Namen, Dörfer und Herkunftsregionen der Teilnehmerinnen, auf anderen sind die Baupläne gezeichnet oder Farbcodes in verschiedenen Sprachen aufgeschrieben. An einer Tafel steht die Aufgabe für heute: „Bau eines charge controllers“. Ein Charge Controller ist ein Bauteil, das im Solarkreislauf für die Steuerung benötigt wird. Es regelt die Stromaufnahme und –abgabe, „ohne Charge Controller geht gar nichts“ („rien ne marche pas!“) – so die Nigerianerin in resolut vorgebrachtem Französisch.

Ich freue mich schon auf meinen nächsten Besuch bei den Solar Sisters. Die gute Laune in der Werkstatt ist ansteckend.

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