Eine junge Italienerin und ein 86 jähriger Journalist kommen ins Gespräch
Gegen 20 Uhr begebe ich mich mit Bata in Arunas Büro, wo das Interview mit Ajit Bhattcharya stattfinden soll.
Dieser Mann ist 86 Jahre alt, klein von Statur aber mit lebendigen und wachen Augen ausgestattet. In Indien ist er eine Koryphäe in der Journalistik, war lange Herausgeber der Hindustan Times und kämpfte an der Seite von Aruna für die Verabschiedung des Gesetzes zur Informationsfreiheit.
Eine junge Italienerin und ihre Eltern wollen mit ihm ein Interview aufnehmen, in dessen Mittelpunkt seine Erfahrungen mit Gandhi stehen sollen. Auch Bata wird das Gespräch aufzeichnen, so dass gleich zwei Kameras auf den betagten Herrn gerichtet sind.
Er sitzt auf einem Bett, hinter ihm ein Bild von Courbet, auf dem ein Männerkopf mit geradezu stechendem Blick abgebildet ist, und einen eigenwilligen Kontrast zu dem sanftmütigen Greis bildet.
Als Ajit Bhattcharya im Vorgespräch hört, dass er auch einen Zusammenhang zwischen Leben und Denken von Gandhi zum barefoot college herstellen soll, besteht er darauf, dass Bunker dazu geholt wird und so sitzen bald beide Männer auf dem Bett und es kann los gehen.
Es war sehr spannend den Geschichten über Aufruhr im Land zuzuhören, die Ajit Bhattcharya über die vierziger Jahre erzählt – da, wo er Gandhi das erste Mal direkt und persönlich erlebt hat. Einen Teil des Gesprächs habe ich aufgezeichnet (als dritte Kamera im Raum). Wenn ich wieder in Deutschland bin, und an einem schnellen Netz hänge, werde ich es über einen YouTube Link im Blog verlinken.
Gandhi und…Gewaltlosigkeit, Technologiefeindlichkeit, Gleichberechtigung und Kastenwesen
Das Interview drehte sich unter anderem um den Aspekt der Gewaltlosigkeit von Gandhi, deren Erfolg der alte Journalist in Frage stellt. Er führt ins Feld, dass die Anhängerschaft Gandhis bereits abnahm und die Engländer aufgrund des vergangenen Krieges sich vermutlich sowieso aus Indien zurückgezogen hätten. Grundsätzlich identifiziere er sich selbstverständlich mit diesem Ansatz aber nicht als Absolutistischen Grundsatz unter allen Umständen also, wie Gandhi dies tat.
Diskutiert wurde auch die Einstellung Gandhis zur Technologie, da es offenbar den Vorwurf gibt, Gandhi wäre technologiefeindlich.
Ajit Bhattcharya stellt klar, dass es Gandhi niemals um eine Verteufelung der Technik ging sondern darum, sie im Interesse der Menschen einzusetzen. Dazu gehöre für ihn aber in erster Linie auch, sie nicht für die Eliminierung von Arbeitsplätze einzusetzen. In Indien leben viele Millionen Menschen, man kann daher nicht Produkte immer noch billiger herstellen, nur um die Profite einzelner zu steigern, die Löhne weniger zu erhöhen, aber Massen durch Arbeitslosigkeit in Armut und Elend zu stürzen. Wann immer Technik das Leben der Menschen erleichtert, ihnen Zugänge verschafft, die ihnen vorher verschlossen waren oder neue Arbeitsplätze schafft, immer dann war Gandhi ein Freund der Technik.
Deshalb, so schloss der Journalist, wäre er ganz sicher auch ein Freund des barefoot Ansatzes geworden, denn genau das ist der Kern des barefoot college: Arbeitsplätze erhalten, neue Arbeitsplätze schaffen und Chancen eröffnen – alles dies unter anderem durch den Einsatz von Solartechnologien oder Regenauffanganlagen. In diesem Punkt sind sich Bunker Roy und Ajit Bhattcharya einig.
Es herrscht auch Konsens bei beiden als es darum ging, Gandhis Einstellung zur Gleichberechtigung zu bewerten und damit Rückschlüsse auf seine hypothetische Bewertung des barefoot Ansatzes zu ermöglichen. Nun mag diese Art von Rückschluss schon sehr an den Haaren herbeigezogen sein, da Gandhi seit nunmehr über 60 Jahren tot ist, aber dennoch ist es interessant zu erfahren, dass Gandhi schon vor so langer Zeit die Gleichberechtigung von Mann und Frau gefordert hat.
Im Gespräch geht es zuletzt noch um das heiße Eisen Kastenwesen. Beide Männer sprechen nicht von der Abschaffung der Kasten, da sie beide für prägende Bestandteile der indischen Kultur und bedeutsam für die Identifikation einzelner Individuen halten. Aber sie sehen ein zwar noch entferntes aber erstrebenswertes Ziel darin, alle negativen Auswirkungen der Kastenzuordnung zu überwinden.
Das barefoot college, so Bunker Roy, sei ein erfolgreiches Beispiel dafür, dass dies auch in einer dörflichen Gemeinschaft gelingen kann, die gemeinhin für rückständiger und damit auch Kasten-orientierter gehalten wird. Hier im Campus hätte er noch keinen einzigen Fall erlebt, bei dem Unberührbare oder andere Angehörige niedriger Kasten ein Problem deshalb bekommen hätten. Kasten spielen hier keine Rolle in der Bewertung von Menschen oder der Entwicklung von Beziehungen zu einander. Mit diesem gelebten Rollenmodell möchte Bunker Roy auch nach außen zeigen, dass ein Leben ohne Kastenbenachteiligung möglich ist.
Nach gut einer Stunde ist das Interview im Kasten, werden die Kameras abgebaut und wird auch aller Orten gegähnt. Auch ich bin müde und ziehe mich zurück. Ein wenig schreibe ich noch und damit geht mein siebter Tag in Tilonie zu Ende.
Wer sich v.a. für Geschichtliches interessiert, dem empfehle ich folgende Lektüre:
Artikel Frauenpower in Rajasthan – eine mächtige Frauenbewegung entsteht – von unten
Artikel Bahnbrechende Gesetze gegen Korruption und für das Recht auf Arbeit
[…] Artikel Was würde Gandhi zum Barefoot Ansatz sagen? Interview mit Bunker Roy und einem Zeitzeugen […]
[…] am 17. Januar 2010 um 23:34 | Antworten Was würde Gandhi zum barefoot Ansatz sagen? Interview mit Bunker Roy und einem Zeitzeugen « S… […]