Der Palast der Winde – rosafarbene Trutzburg aus dem Märchenland
Weitere Museen und Paläste vertrage ich an dem Tag nicht mehr – außerdem ist es inzwischen später Nachmittag und ich möchte noch ein wenig vom Gewimmel in der Stadt mitbekommen und natürlich einen Blick auf einen Markt werfen. Unterwegs dorthin halten wir jedoch noch am Palast der Winde an, der zwar auch rosafarben ist aber sonst in seiner Architektur völlig anders als alles Übrige in der Stadt.
In einem riesigen Halbrund drängen sich viele kleine Erker an-, über- und untereinander, ja sogar irgendwie übereinander, so dass die Fassade ein richtiges Gewimmel abbildet, das trotzdem Ruhe ausstrahlt.
Das ganze wirkt filigran durch die verschiedenartigen Fenstermuster aber dennoch auch wie eine Trutzburg, denn die Fensterdurchbrüche sind klein und lassen viel rosarote Mauer übrig.
Wir halten uns nur kurz auf, eine Bettlerin mit kleinem Kind bedrängt uns heftig. Ich habe im barefoot college und seiner Umgebung so etwas nicht erlebt und kann mit dem Anblick nicht umgehen. Ich habe nicht mal eine einzige Rupie, die ich ihr geben könnte – der Besuch eines Geldautomaten steht noch auf dem Plan, in meinem Portemonnaie gibt es nur Zwanzigeuro-Scheine. Die Frau hält mir den Säugling direkt vor das Gesicht und sagt dann immer „Foto Baby, Foto Baby“. Das ist sicher Ausdruck ihrer Not, für mich ist es trotzdem Kindesmissbrauch. Ich mag auch gar kein Foto davon machen.
Später erfahre ich, dass dies häufig eine Art organisierte Bettlerei ist, deren Hintermänner die Einnahmen einstreichen und nur einen Bruchteil an die bettelnden Bedürftigen weitergeben. Auch diese Erkenntnis hilft nicht, das Elend zu ertragen. Es ist und bleibt ein unerträglicher Anblick. Armut gehört ins Museum – so der Titel eines lesenswerten Buches. Die Menscheit ist intelligent genug und unser Planet reich genug, um allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Es wird Zeit, dass dafür mehr getan wird, anstatt immer noch mehr Milliarden in Rüstung oder den Besuch von Mars und Mond zu stecken.
Geldnot auf dem Markt
Auf dem Weg zum Markt kommen wir wieder an der Altstadt mit leicht morbidem Charme vorbei.
Ich wünsche mir, das nächste Mal mit viel mehr Zeit hierher zu kommen und einfach mal ein paar Stunden durch die Strassen zu laufen und nicht nur im Auto daran vorbeizufahren. Es ist dem Ort einfach nicht angemessen. Er ist gleichermaßen voll und hektisch durch das Gewimmel aber auch eine Stätte der Langsamkeit. Das klingt irgendwie schizophren, ging aber doch zusammen.
Auf dem Markt schaue ich mich angeregt durch die wunderschönen Textilien, die ich in Albert Hall und im City Palast gesehen habe, vor allem nach Stickereien um.
Ich kaufe ein Kleid und 3 kleine Oberteile, so habe ich auch mal Abwechslung und muss nicht die ganze Zeit die gleiche Kleidung im Campus tragen (es war ja Bunker Roys ausdrücklicher Wunsch, dass ich mich einheimisch kleide).
Bezahlen kann ich jedoch nichts davon, immer noch keine Rupie im Geldbeutel – bisher brauchte ich kein Geld.
Bata legt aus, wir wollen ja gleich zum Geldautomaten, alles kein Problem. Auf dem Weg zum Geldautomaten amüsiere ich mich wieder einmal über eine der unmotiviert herumstehenden Kühe.
Für mich ist dieser Anblick ja immer noch sehr ungewöhnlich, aber in Indien dreht sich kein Mensch nach einer Kuh um, die Schaufensterauslagen zu betrachten scheint, an einem Motorradsitz herumschnuppert oder sich mit der Schnauze im Rinnstein zu schaffen macht.
Der erste Versuch schlägt fehl, immer wieder die Anzeige „the last transaction has been cancelled“ – warum und wieso? Keine Angabe. Wir versuchen es bei einem anderen Automaten, auch da Fehlanzeige, aber immerhin weiß ich inzwischen warum: bei Kreditkarte 1 ist die PIN falsch (das hatte ich mir schon gedacht, die habe ich mir noch nie merken können), Kreditkarte 2 ist zum Jahreswechsel abgelaufen. Blitzartig fällt mir der Brief der Bank ein, in dem die neue Karte lag.
Zuhause liegt sie warm und trocken. Und ich bin in Indien, habe noch 40 Euro und ca. 10 Dollar und sonst kein Geld mehr, aber schon Schulden von knapp 50 Euro angesammelt. Zu Hause lese ich in der Zeitung, dass es gar nicht an der vermeindlich falschen PIN lag, sondern an einem gigantischen Softwareproblem. Nach der Jahrzehntwende zu Sylvester spuckten Geldautomaten bei Millionen von Kreditkarten kein Geld mehr aus – vor allem im Ausland.
Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich ja immerhin noch mit der Kreditkarte bezahlen kann, da wo man sie akzeptiert. Der letzte Halbsatz ist leider ein entscheidender.
Vielerorts kann man mit Kreditkarte nichts anfangen, nicht mal im barefoot college. Ich bin heilfroh, dass ich unter Freunden bin, im barefoot college kann man anschreiben, ich werde meine Schulden nach der Rückkehr überweisen. Es ist mir auch eine Erleichterung, dass wir ein Restaurant finden, in dem wir auf Kreditkarte essen können. Wir sind mutterseelenallein in dem Lokal, es ist ein vegetarisches – was in Indien offenbar eher die Regel als die Ausnahme ist. Von der Speisekarte verstehe ich kein Wort, ich lasse Bata für mich etwas aussuchen. Am Ende kommt viel zu viel, die Vorsuppe hätte ich mir sparen können, es kommt sowieso die obligatorische Linsensuppe zum Hauptgang dazu.
Linsensuppe – ohne die gibt’s kein Essen – mit dem Rezept von Bata
Diese Linsensuppe wird mir fehlen. Hier das Rezept von Bata:
Zwei Hände voll Linsen in einem Topf mit lauwarmem Wasser aufsetzen, das Wasser sollte ca. 1 cm über dem Linsenrand stehen.
In einer Pfanne Öl erhitzen, zuerst etwas Kümmel hineingeben, dann kleingeschnittenen Knoblauch, anschließend Zwiebelwürfel dazugeben und zuletzt kleingeschnittene Tomaten. Kurz braten. Wenn die Linsen weich sind (ca. 15-20 Min.) den Inhalt der Pfanne in die Linsen geben, mit Salz und Chili (Pfeffer geht auch) abschmecken. Das ganze vom Herd nehmen und etwas frischen Koriander hineinstreuen. Zu Tisch mit Zitronenstückchen reichen – zum selbst Zitronensaft hineinzuträufeln. Lecker!
Nach dem Essen im Lokal fahren wir auf geradem Weg zurück nach Tilonia. Es ist schon ein Gefühl, wie nach Hause zu kommen. Es war ein toller Tag, aber ich war auch wieder gern im barefoot college. Schnell ging es noch einmal ins Telefonhäuschen, den Gandhi-Text hochladen. Mein neunter Tag in Indien ist zu Ende.
Mehr über Jaipur lesen?
[…] Jaipur Teil 3 – mit Palast der Winde und einem Rezept für Linsensuppe […]
[…] und hier zum Artikel Jaipur – Teil 3 mit Palast der Winde und einem Linsensuppenrezept […]
[…] Jaipur Teil 3 – mit Palast der Winde und einem LinsensuppenrezeptNeujahrsfest für die Kinder – 01.01.2010 im Barefoot CollegeFrauenpower in Rajasthan: Eine […]