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Posts Tagged ‘Gleichberechtigung’

Eine junge Italienerin und ein 86 jähriger Journalist kommen ins Gespräch

Italienerin im Gespräch mit Ajit Bhattcharya

Gegen 20 Uhr begebe ich mich mit Bata in Arunas Büro, wo das Interview mit Ajit Bhattcharya stattfinden soll.

Dieser Mann ist 86 Jahre alt, klein von Statur aber mit lebendigen und wachen Augen ausgestattet. In Indien ist er eine Koryphäe in der Journalistik, war lange Herausgeber der Hindustan Times und kämpfte an der Seite von Aruna für die Verabschiedung des Gesetzes zur Informationsfreiheit.

Eine junge Italienerin und ihre Eltern wollen mit ihm ein Interview aufnehmen, in dessen Mittelpunkt seine Erfahrungen mit Gandhi stehen sollen. Auch Bata wird das Gespräch aufzeichnen, so dass gleich zwei Kameras auf den betagten Herrn gerichtet sind.

Ajit Bhattcharya und ein Bild von Courbet

Er sitzt auf einem Bett, hinter ihm ein Bild von Courbet, auf dem ein Männerkopf mit geradezu stechendem Blick abgebildet ist, und einen eigenwilligen Kontrast zu dem sanftmütigen Greis bildet.

Als Ajit Bhattcharya im Vorgespräch hört, dass er auch einen Zusammenhang zwischen Leben und Denken von Gandhi zum barefoot college herstellen soll, besteht er darauf, dass Bunker dazu geholt wird und so sitzen bald beide Männer auf dem Bett und es kann los gehen.

Es war sehr spannend den Geschichten über Aufruhr im Land zuzuhören, die Ajit Bhattcharya über die vierziger Jahre erzählt – da, wo er Gandhi das erste Mal direkt und persönlich erlebt hat. Einen Teil des Gesprächs habe ich aufgezeichnet (als dritte Kamera im Raum). Wenn ich wieder in Deutschland bin, und an einem schnellen Netz hänge, werde ich es über einen YouTube Link im Blog verlinken. (mehr …)

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„Bunker Roy gegen den Staat Rajasthan“ –ein Urteil des Obersten Gerichts zündet die Frauenbewegung

Die nachfolgende Geschichte der Frauenbewegung von Rajasthan hat mir Ramkaran erzählt (siehe dazu auch den vorhergehenden Blogbeitrag). Da ich keine historischen Fotos zur Verfügung habe, sind in diesem Beitrag Porträts von Frauen und Mädchen abgebildet, die zur Zeit im barefoot college oder seiner Umgebung leben und arbeiten – sie stehen jedoch in keinem direkten Zusammenhang zur beschriebenen Geschichte.

Zwei Solar-Heizungsbauerinnen im barefoot college

Frauengruppen entstanden 1981 in Rajasthan – durch einen Fall öffentlicher Diskriminierung von Frauen. In der Nähe von Tilonia wurden öffentliche Straßenarbeiten durchgeführt, bei denen 600 Menschen Arbeit hatten – 300 Frauen und 300 Männer. Die Männer bekamen 4 Rupien Stundenlohn, die Frauen nur 3 Rupien. Alle waren faktische Analphabeten und niemand wußte, dass es ein Gesetz über Mindestlohn gab, das sogar 7 Rupien Stundenlohn vorschrieb. Aber die Frauen sahen, was die Männer bekamen und was sie bekamen und waren entrüstet. Man begründete ihnen gegenüber die Ungleichbezahlung damit, dass sie schwächer wären als Männer und daher weniger schaffen würden. Die Frauen arbeiteten jedoch genauso effektiv wie die Männer und waren daher mit der Ausrede nicht zufriedengestellt. Eine Delegation von 10-15 Frauen machte sich auf den Weg in das nahe gelegene Tilonia, um dort Bunker und Aruna Roy von ihrem Fall zu erzählen. Die Annahme ihres Lohnes hatten sie bis dahin verweigert.

Von Aruna und Bunker Roy erfuhren sie dann erstmalig von ihrem Recht auf Mindestlohn von sogar 7 Rupien – mehr als das Doppelte dessen, was man ihnen bezahlen wollte. Noch am gleichen Abend versammelten sich die Frauen in Harmara, dem Arbeitsstandort – alle 300 Arbeiterinnen nahmen am Treffen teil. Gemeinsam beschlossen sie, die Annahme ihres Lohnes weiterhin zu verweigern und 7 Rupien Lohn zu fordern.

Sita, Solarkocher-Monteurin im barefoot college, auf dem Weg vom Alten in das Neue Campus

Für das Straßenbauprojekt waren zwei öffentliche Behörden zuständig – das Public Works Department auf Landesebene und die Abteilung für Dörfliche Entwicklung auf Distriktsebene. Das Barefoot College schrieb einen von den Frauen unterzeichneten Beschwerdebrief mit ihrer Forderung an diese Behörden – er blieb unbeantwortet. Zehn Tage danach reichte Bunker Roy im Namen der Frauen eine offizielle Beschwerde beim Obersten Gericht auf Bundesebene ein. Alle 300 Frauen hatten ihm Vertretungsrechte überschrieben, da sie ihre Familien für die Anhörungen in Neu Delhi nicht verlassen konnten. Der Fall wurde verhandelt als „Sanjit Roy versus State of Rajasthan“ (Sanjit Roy ist Bunker Roys eingetragener Name, Bunker ist sein Spitzname, den er heute praktisch ausschließlich verwendet).

Das Verfahren dauerte über 18 Monate, bis am 20. Januar 1985 das überraschende und wegweisende Urteil des Obersten Gerichtes gefällt wurde: Der Staat Rajasthan wurde dazu verurteilt, an alle 300 Frauen den Mindestlohn von 7 Rupien die Stunde nachzuzahlen. Dieses Urteil sprach sich herum wie ein Lauffeuer. Die Frauen erlebten zum ersten Mal, dass es Sinn macht, sich zu wehren, dass sie gemeinsam sogar gegen die Verwaltung kämpfen und gewinnen können. (mehr …)

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 Puppenbauen unter einem Militärflieger

Der Tag begann etwas später, ich weigere mich einfach, einen Wecker zu stellen und mein Körper meint gerade unter 9 Stunden sei ihm nicht genug. Aber auch nach der Frühstückszeit gab es für mich noch 3 frisch gebackene Fladenbrote und extra Tee ohne Milch.

Dann erlag ich dem Zauber des Puppenspiels. Bata brachte mich zur Communications Abteilung, zu der auch das Puppenspiel gehört. Schon auf dem Weg trafen wir auf zwei Hersteller neuer Puppen, sie arbeiteten direkt neben einem alten Militärflugzeug. Das steht reichlich unmotiviert auf dem campus herum. Der Vater eines barefoot college Bewohners (ein früherer Offizier bei der indischen Luftwaffe) hatte es für die Kinder als Lehrobjekt herbeigeschafft. Kinder haben es inzwischen mit Verzierungen versehen und durch ihre Hangelei die Spitze verbogen.

Puppenbauen unterm Flugzeug

Die Puppen werden wie viele der Kunsthandwerke im barefoot college aus Abfallmaterial hergestellt. Die Köpfe sind aus Pappmaché, das durch Zerstampfen von Altpapier und Kleister in einem Steintopf entsteht.  

Pappmache Herstellung

Die Köpfe aus Pappmaché werden erst geformt und geglättet, später angemalt.

Puppenköpfe entstehen

Danach werden die Kleider aus recycleten Stoffen geschneidert und fertig ist eine neue Puppe.

frisch bemalte Puppen

Noch bunter wird es in der Theaterwerkstatt selbst. Besucher aus Washington sind da, so dass wir eine kleine Extravorstellung bekommen. In der Werkstatt hängen die Wände voller Puppen, eine Reihe voller Könige…

Königspuppen

Eine Reihe voller Frauen in bunten Kleidern…

Frauenpuppen

Eine Wand ist von oben bis unten voller Puppen.

eine Wand voller Puppen

Mitten drin finden sich Puppen, die Bunker Roy und seine Frau Aruna darstellen.

Bunker Roy und Aruna Roy als Puppen

Königspuppen waren gestern – heute spielt die Gegenwart auf der Bühne

Wir erfahren, dass in der früheren, traditionellen Puppenspielerei hauptsächlich die Königspuppen in Einsatz kamen. Sie haben Holzköpfe und sind aufwändig gefertigte Marionetten. Für ihre Herstellung und um mit ihnen gut zu spielen braucht es Jahre der Übung und des Lernens. Hier im barefoot college will man aber nicht nur Puppenspielen um der Unterhaltung willen, sondern man möchte damit durch die Dörfer ziehen, um Aufklärungsarbeit zu leisten, die indirekt erfolgt, die Menschen begeistert und dadurch eine größere Chance hat, auch bei ihren Adressaten anzukommen. Deshalb, so heißt es dann, sind für diese Puppenspiele auch andere Puppen hergestellt worden. Einfacher in der Machart und auch in der Handhabung. Es sind Handpuppen mit Köpfen aus Pappmaché – eben solche, wie die, die gerade draußen vor dem Haus entstanden. Mit einem Lächeln erzählt man uns auch, dass die Köpfe aus Zeitungen und klugen Büchern enstanden und daher das ganze Wissen jetzt in den Köpfen der Puppen steckt. So können sie es denen erzählen, die keine Zeitungen lesen und keine Bücher kaufen können – den Ärmsten auf dem Land.

Seit 20 Jahren ziehen die Puppenspieler des barefoot colleges schon durch die Dörfer, über 70.000 Zuschauer haben sie begeistert. Viele kennen das barefoot college nur über die Geschichten, die seine Puppenbotschafter erzählen. Inzwischen hat das college auch schon viele andere Puppenspieler ausgebildet, um mehr Menschen in noch mehr Dörfern erreichen zu können.

Puppenspiel für Frauenrechte und Gesundheitsschutz

Die Themen sind vielfältig und reichen von Gesundheitsschutz bis zu Kinderrechten, Bürgerrechten (vor allem das Recht auf Information und der Schutz vor Korruption) bis hin zu Themen rund um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, den Schutz von Mädchen vor Kinderheirat und die Überwindung der Diskriminierung wegen Kastenzugehörigkeit. Hierzu wurden passende Puppen entwickelt – von der Kinderbraut bis zum Bauern.

Kinderbraut mit Bräutigam

Vier Männer führen uns gemeinsam ein indisches Volkslied vor, in dem davon die Rede ist, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich beendet werden kann und Armut kein Schicksal ist, das man geduldig ertragen sollte. Einige kleine Stücke mit den Puppen werden ebenfalls gegeben. Ich wünschte, ich würde alles verstehen, manche waren auf Urdu oder Hindi…schön sah es trotzdem aus. Ich habe auch kleine Videos mitgeschnitten, bei Gelegenheit finden sie sich in meinem YouTube Channel . Stolz erzählen einige der barefoot college Puppenspieler, dass sie schon mehr als einen Monat in Deutschland verbracht haben, als sie bei der Expo eingeladen waren, um ihr Land zu vertreten.

Cia Cia spielt sich selbst

Dazu gehört auch Cia Cia, der die ihn selbst darstellende Puppe mit hinreißendem Charme spielt. Sie schafft es am Ende, mir ein paar Küsse zu rauben 🙂

Zum Abschied bekam ich noch das verlockende Angebot, selbst eine Puppe zu gestalten. Das Angebot nehme ich bestimmt an, wenn irgendwie dafür Zeit ist. Aber ich habe noch einiges vor, das college ist größer als man denkt und zwischendurch ist ja auch noch ein Neujahrsfest zu feiern.

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