Schulbesuch im Barefoot College – wilde Jungen und ein Mädchen mit starkem Blick
Den ganzen Tag schon ist Gewusel auf dem Neuen Campus, drei Busse haben viele Schülerinnen und Schüler ausgespuckt, die erst gemeinsam eine Einführung im großen Community Theater erhalten, und dann in einzelnen Gruppen die verschiedenen Bereiche des barefoot college ansehen.
Jungen und Mädchen wandern in getrennten Gruppen herum, sie verhalten sich sehr unterschiedlich.
Die Jungs sind geradezu distanzlos, jeder will unbedingt von mir fotografiert werden, viele geben ihr Handy den Freunden, damit sie ein Foto von sich mit mir machen können. Sie stellen sich auch in immer wechselnden Gruppen auf oder belagern Bänke in Konstellationen, die ich bitte wieder fotografieren soll.
Sie albern herum und machen alle Arten Witze. Sie drängeln und schubsen sich gegenseitig.
Rücksicht gegenüber den Kleineren gibt es nicht, die Großen drängen sich permanent in den Vordergrund.
Am Ende schreite ich ein – und sortiere sie selbst, wenn schon Foto, dann wie gewohnt: die Kleinen vorn, die Großen hinten. Manche Kleinen wehren sich auch mit ausgebreiteten Armen gegen das Vordrängeln der Großen. Gar nicht so einfach, einen Hummelhaufen zu fotografieren, aber es geht doch.
Viele Jungen stellen sich vor und schütteln mir die Hand, sie sagen immer wieder „hello“ und „Thank You“. Ich werde gefragt, ob ich aus Amerika komme, aber auch die Antwort „Germany“ scheint sie nicht zu enttäuschen. Einige handeln sich beinahe Ärger mit ihrer Aufsicht ein, weil sie kein Ende finden.
Bei den Jungen löst daneben vor allem der ausrangierte Kampfflieger Begeisterung aus. Sie klettern die kleine Leiter hoch und auch dort posieren sie für Fotos. Ich möchte ihnen anbieten, einige Bilder per email zu schicken, aber das scheitert an der Kommunikation – oder sie haben einfach keinen Zugang zu email.
Ganz anders verhalten sich die Mädchen. Das Flugzeug wirkt natürlich auch auf sie anziehend, aber nur einige interessieren sich dafür, es auch zu erklettern, das Ganze geht dabei eher ruhig zu.
Sie sind auch sehr neugierig und schauen mich unverwandt an, aber sie bleiben auf Abstand.
Manche ergreifen sogar die Flucht als sie beim Fotographieren der Jungs versehentlich mit im Bild sind (sie waren auf ein Mäuerchen geklettert, um zu schauen was los ist).
Das Mädchen mit dem blauen Hemd schaut fast die ganze Zeit mit direktem Blick zu mir, am Flugzeug (auf der Leiter), vom Mäuerchen, in der Gruppe.
Ich werde richtig neugierig, weil man selten ein Kind mit solchem Blick trifft, so offen, so direkt und soviel Stärke und Selbstbewusstsein ausstrahlend. Ich weiß leider nicht einmal, wie sie heißt. Sehr schade.
Die Mädchen sind auch etwas besser in Englisch, sie sind freundlich und höflich und sagen „nice to meet you“ zu mir. Ihre Augen sind wach aber oft sehr ernsthaft.
Am Flugzeug trocknen Puppenköpfe
Als die Jungsgruppe zum Flugzeug kam, war ich eigentlich gerade dabei, einem Puppenmacher über die Schulter zu schauen. Es fasziniert mich wie beim ersten Mal, der Entstehung der Puppenköpfe zuzuschauen.Der Puppenmacher und seine jüngsten Geschöpfe
Der Puppenmacher ist stolz auf seine Arbeit und zeigt mir seine großen und kleinen Werke. Er läßt die große Puppe mit den Augen klappern und die kleine Puppe den Mund auf und zu machen (sie erinnert wieder stark an Bunker Roy).
Er ist sehr freundlich und aufmerksam aber auch sehr still. Es ist der taubstumme Mann, der so wunderbar auf dem Sylvesterfest getanzt hatte.
Die fertigen Pappmaché-Köpfe sind auf einen Stock aufgespießt und auf dem Flugzeugflügel befestigt worden, um besser zu trocknen. Das sieht außerordentlich witzig aus und erinnert mich an Giacometti Plastiken.
Einige liegen auch einfach flach auf dem Flugzeugflügel herum, als hätte sie jemand nur vergessen.
Ich kann mich auch ein weiteres Mal im Puppenlager umschauen. Puppen sind immer wieder schön. Ich entdecke die tanzende Riesin vom Neujahrsfest – diesmal ohne Lampe im inneren. Der geheimnisvolle Zauber der Nacht ist dahin, aber eindrucksvoll ist sie noch immer. Die Puppe daneben – immerhin so groß wie ein halber Mensch, wirkt lächerlich klein neben ihr. Ich entdecke eine Puppe, die offensichtlich Aufklärung leistet über gute Buchführung, so sieht es jedenfalls aus. Und neben drei Schönheiten im Hintergrund eine schwarze finstere Frauenpuppe mit leuchtenden Augen – wie ein Gespenst, das über die bunten Damen wacht.
Aus Leiterplatten werden Möbel – im Milchiglu des barefoot college
Auf dem Weg zum Telefon-Iglu, um dort wieder etwas für den Blog zu schreiben, beschließe ich einen Abstecher in das Milch-Iglu, das sich direkt daneben befindet. Beide Iglus sind direkt rechter Hand gelegen, wenn man in den Neuen Campus kommt.
Hier decken sich die Einwohner des college mit ihrem täglichen Bedarf an Milchprodukten ein. Im Essen wird (zu meinem Glück) keine Milch verwendet, aber Tee ohne Milch zu bekommen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Auf dem Dach des Iglus ist ein Bild gemalt – natürlich mit Bezug zur Hütte, unverkennbar die Zitzen der Kuh im Vordergrund. Die Türen stehen auf, aber ich treffe niemanden an. Das Innere der Milchhütte ist spartanisch, da gibt’s nur einen Tisch mit Ventilator und dem obligatorischen Radio, ein Regal für eine Handvoll Akten und das entscheidende Inventar: die Kühlhaltetruhe mit den Milchprodukten.
Beim näheren Betrachten der Verkauftheke fällt mir auf, dass sowohl Oberfläche der Tischplatte als auch Vorderwand und Tür aus alten Leiterplatten hergestellt wurden. Das sieht sehr lustig aus, ist aber bestimmt nicht so toll sauber zu halten, da die Platten viele kleine Löcher haben.