Tilonia trocknet aus
Der Nachmittag (30.12.2009) stand ganz im Zeichen des Handwerks. Wir brechen nach einem Mittag bei Bunker Roy im schönen Garten zu Fuß auf in den alten Campus, wie immer ist Bata meine Begleiterin. Es ging auf staubigen Wegen über vegetationsfreie Ackerböden, am Feldrand stapeln sich Steine.
Wieder erzählt Bata, dass hier früher Mais und Weizen wuchsen, so viel Regen fiel. In diesem Jahr ist die Regenzeit im Juli/August fast ganz ausgefallen. Wir kommen an einem Wasserspeicher vorbei, der einen gigantischen Durchmesser hat und zig Meter in die Tiefe geht. Beim Blick hinunter wird’s einem schwindelig. Vor 1,5 Jahren, in der vorletzten Regenzeit, war der Speicher voller als er heute noch hoch ist. Ein Pfahl zeigt die Wasserhöhe vom August 2008 ca. 2 meter über dem Erdboden an. Inzwischen ist ein Teil der Wände, die über den Boden ragten abgerissen. Der Wasserstand ist mindestens 20 Meter tief gesunken. Es glänzt weit in der Tiefe.
Viele Bauern müssen sich ganz oder teilweise andere Tätigkeitsfelder suchen, um nicht zu verhungern. Umso wichtiger ist die Rolle des barefoot college als Arbeitgeber und Ausbildungsstätte für das Handwerk. Hier werden alte Traditionen weitergegeben und durch Modernes ergänzt.
Tilonia ist für mich eine ungewöhnliche Mischung aus Moderne und Vergangenheit. Auf der einen Seite gibt es ein schnelles WLAN, auf der anderen altes Handwerk, kein Besteck und Frauen, die auf dem Kopf Bügeleisen tragen, wie wir sie aus dem Museum kennen.
Unser Weg führt uns an der Dayschool vorbei, in der die Kinder auf dem Schulhof lärmen. Ein Besuch bei Day- und Nightschool stehen später auf dem Programm.
Tierisches aus Textil: Vogel-Totas und Elefantendecken
Wir besuchen zuerst die Textilwerkstätten, im größten der kolonialen Gebäude. Auf der Vorderseite ist die Bankfiliale von Tilonia untergebracht, im rückwärtigen Bereich und im Obergeschoss arbeiten die Textilhandwerkerinnen. Unten wird geschneidert und genäht (dort entstand mein Gewand) aber hier werden auch Totas gebastelt, lange Ketten aus kleinen Vögeln, die mit Perlen als Abstandshalter auf eine bunte selbstgedrehte Kordel gezogen werden.
Die Vögelchen sind wieder aus Stoffresten, die Füllung ist ebenfalls aus recycltem Material. In der YouTube Serie „Frauen aus Tilonia“ gibt es einen Film über Bhawar Kanwar, die in einem der umliegenden Dörfern die Herstellung von Bell-Totas koordiniert. In dem 3-minütigen Film kann man sich die Produktion einmal anschauen – von der Füllung aus getrockneten Pflanzenteilen bis zum Auffädeln der Vögelchen zu Ketten.
Die Frauen arbeiten ohne Hektik und in entspannter Atmosphere, dabei wird Tee getrunken, den ich leider ablehnen muss – er ist wie hier üblich mit Milch gekocht. Ein Junge sitzt dabei und schaut zu, nein, er hat nicht mit gearbeitet, Kinderarbeit habe ich bisher in Tilonia nicht gesehen.
Von den Tota-Frauen steigen wir die steinerne Treppe hoch bis unter das Dach des höchsten Gebäudes im Campus. Dort arbeitet Batas Mutter nun schon seit 30 Jahren und entwirft das Design für immer neue Bettüberwürfe. In vielen Farbkombinationen gestaltet sie Ornamente, mythische und Tiergestalten, die als farbige Applikationen auf Decken gesteppt werden und mit einem mehrreihigen Steppstich als Zierstich umrandet oder künstlerisch ergänzt werden.
Hier unter dem Dach entstehen tatsächlich nur die Entwürfe. Batas Mutter entwirft eine Decke erst im Kopf, dann auf dem Stoff, sie schneidet die Streifen und zu applizierenden Stoffstücke zu und befestigt sie mit einem Heftstich am Untergrund.
Frauen aus umliegenden Dörfern holen diese Rohware ab und fertigen in Heimarbeit die Näharbeit an den Decken – ohne maschinelle Hilfe. Natürlich verliebe ich mich sofort in eine Decke – in den Laden wollte ich ja ohnehin noch einmal gehen. Mein Favorit hat viele kleine Elefanten appliziert. Sie sind aus blauem Stoff appliziert. Diese Decke sieht sogar von hinten schön aus.
Auf dem Weg zu den anderen Werkstätten begegnen uns die Kinder, die gerade aus der Schule kommen. Neugierig schauen sie die Ausländerin an. Sie sind hier schon privilegiert, da sie in die Dayschool gehen können. Viele Kinder müssen tagsüber arbeiten und Ziegen oder Schafe hüten, für sie bleibt nur die Nightschool, wenn sie etwas lernen wollen.
Wenn man neben den Kindergesichtern die offensichtliche Armut sieht und dann an den Überfluss in Deutschland und an vielen anderen Orten auf der Welt, kann man schon schier verzweifeln. Man kann als Einzelmensch nicht die ganze Welt retten. Aber ein bisschen was kann und sollte jeder tun. Wir haben schließlich nichts dafür getan, dass wir in unserem Teil der Welt geboren wurden.
Wer jetzt konkret in Tilonia helfen will, der sei noch einmal auf mein barefoot college Spendenprojekt bei betterplace hingewiesen. Dort kann man auch kleine Summen spenden. Es gehen garantierte 100 % der Spenden direkt in das barefoot college, ohne jeden Abzug.
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